Nemesis im Test: Ein Brettspiel aus Hollywood

Nemesis im Test: Wir verraten, warum das SciFi-Horror-Brettspiel ein echter Meilenstein ist.
Warum sind Videospiele so populär? Die Gründe sind natürlich vielfältig. Bei dieser Frage werden allerdings oft Begriffe wie Storytelling, Immersion und Atmosphäre in den Raum geworfen. Immer häufiger können Attribute wie diese jedoch auch mit Brettspielen in Verbindung gebracht werden. Im Falle des brandneuen Horror-SciFi-Titels Nemesis trifft dies jedenfalls voll und ganz zu. Selten zuvor bin ich so tief in die Geschichte eines Brettspiels eingetaucht und dabei das Gefühl der Beklemmung so greifbar nahe erlebt. Doch beginnen wir am Anfang…
Nemesis ist eine Hommage an die alten Alien-Filme. Auch ohne offizielle Lizenz ist klar erkennbar, dass Spieleautor Adam Kwapinski ein echter Fan des Gruselschockers ist. In Nemesis übernehmt ihr die Aufgaben der Nemesis-Crew. In einer fernen Zukunft steuert euer Schiff durch das All. Um die lange Fahrt zu überstehen wird die Besatzung zeitweise in den Kälteschlaf versetzt. Die Handlung setzt unmittelbar nach dem Aufwachen im kalten Nebel des Kryonatoriums ein. Ein übles Erwachen, denn seit eurem kleinen Schläfchen hat sich die Situation an Bord grundlegend verändert.
Der Schleier des Vergessens
Während ihr euch noch den Schlafsand aus den Augen reibt, erblickt ihr auch schon das zerborstene Glas einer weiteren Schlafkapsel und den darin befindlichen Leichnam eines Kameraden. Die Todesdiagnose fällt nicht weiter schwer. Es muss wohl das fette Loch in seiner Brust sein, das sein Leben jäh beendete. Was geht hier vor sich? Dieses verdammte amnestische Syndrom nach dem Aufwachen aus dem Kälteschlaf erschwert euch die Orientierung doch erheblich. Eines ist jedoch klar, diese klaffende Wunde am Körper des Toten kann nicht von Menschenhand gemacht sein. Die Raumstation wird von einer fremden Spezies bedroht.

Das spiegelt sich auch im Spielaufbau wider. Vor euch liegt ein großer Spielplan, der die Nemesis in ihrer Gänze darstellt. Doch was befindet sich noch gleich in den einzelnen Räumen? Ihr könnt euch beim besten Willen nicht an den Aufbau des Raumschiffs erinnern. Bei Spielbeginn werden die Räume in Form von verdeckten Plättchen auf dem Spielplan nach dem Zufallsprinzip verteilt. Die Nemesis sieht also bei jedem Spiel immer wieder ein wenig anders aus. Der amnestische Effekt legt sich also auch nicht beim wiederholten Spiel.
Intrigen im Weltall
Es bleibt euch also nichts Weiteres übrig, als das Schiff zu erkunden. Zum Glück gibt es zumindest ein paar kleine Orientierungspunkte. Jeder Raumfahrer verfolgt auf der Nemesis ein persönliches Ziel. Dabei agiert ihr nach euren ganz persönlichen Wertvorstellungen. Einige Raumfahrer möchten etwa ein Signal absetzen, um andere Weltraumreisende vor der Bedrohung durch die Weltraumwesen zu warnen. Ein anderer Astronaut möchte hingegen die Schwächen der Aliens erforschen oder einfach nur ihr Nest an Bord zerstören.

Neben dem persönlichen Ziel gibt es allerdings auch noch die Interessen der Unternehmensleitung. Die großen Bosse im Hintergrund erteilen jedem Spieler einen weiteren individuellen Auftrag. Jetzt kann es auch mal schmutzig werden. Die Chefs haben den Captain als potenzielle Gefahr für das Unternehmen erkannt? Vielleicht ist er in Besitz von Informationen, die dem Unternehmen erheblich schaden können? Dann wäre das jetzt eine gute Möglichkeit, den Captain für immer zum Schweigen zu bringen. Der perfekte Job für Spieler X.
Vertrauenswürdig oder nicht?
Möglicherweise hat sich aber auch ein Raumfahrer von einer anderen Firma kaufen lassen. Sollten es etwa dem Astronauten gelingen, ein ungeschlüpftes Alien-Ei zu einer geheimen Station auf dem Mars zu bringen, winkt ein satter finanzieller Bonus. Dazu müsste man natürlich den Kurs der Nemesis ein wenig ändern. Das wird den anderen Crew-Mitglieder sicher nicht gefallen. Die Ziele in Nemesis sind vielfältig und bestehen auch zumeist aus mehreren Teilen. Manchmal decken sich Teile der Aufgaben mit anderen Raumfahrern, andere wiederum widersprechen sich möglicherweise. Das führt an Bord zu temporären Bündnissen, später wiederum zu erheblichen Konflikten.

Der Mechaniker könnte beispielsweise darauf aus sein, die Überreste des verstorbenen Kameraden in den Kälteschlaf zu versetzen, um später für eine angemessene Bestattung zu sorgen. Der Wissenschaftler hingegen möchte die Schwäche der Aliens erforschen, benötigt dazu aber einen menschlichen Leichnam zu Untersuchungszwecken. Damit steht der Wissenschaftler vor einem Problem. Vielleicht hat er ja Glück und einer seiner anderen Kameraden fällt den Aliens zum Opfer. Reichlich Stoff für Konflikte ist vorhanden.
Wabernde Paranoia auf der Nemesis
Ein direktes Attackieren eines Crew-Mitglieds ist allerdings nicht möglich. Dafür sorgt das Anti-Aggressionsimplantat, das jedem Raumfahrer in den Kopf gepflanzt wurde. Es soll verhindern, dass die Astronauten ihre Mission durch eine Lynchjustiz zum Scheitern bringen. Dennoch gibt es zahlreiche Optionen, eure Kameraden in die Bredouille zu bringen. Bereits eine verriegelte Tür kann für das Ableben eines Raumfahrers sorgen, wenn er sich den Raum mit einem fünfmetergroßen Alien teilt. Ebenso ließe sich auch mal ein Brand legen oder durch allzu unbedachtes Losstürmen das ein oder andere Monstrum anlocken.

So wirklich vertrauen könnt ihr somit keinem Crew-Mitglied. Selbst der Kamerad, der euch zuvor vielleicht noch aus der Patsche geholfen hat, kann in der nächsten Sekunde zu eurem größten Feind werden. Die Paranoia wabert ständig ungreifbar durch die Nemesis. Genau mit diesem Gefühl spielt Nemesis ganz vorzüglich. Schnell wird euch die missliche Lage bewusst und alle Mitspieler werden als nicht vertrauenswürdig eingestuft.
Eine Frage der Ausrüstung
Ein gewisser Grad der Zusammenarbeit ist allerdings dann doch überlebenswichtig. Brechen zu viele Feuer an Bord aus kann das Schiff explodieren, technische Defekte lassen das Schiff auseinanderbrechen. Weiterhin gilt es die Triebwerke zu kontrollieren und sie möglicherweise wieder ans Laufen zu bringen. Es wäre zudem auch nicht verkehrt, wenn jemand vorne im Cockpit den Kurs der Nemesis überprüfen würden. Da die Zeit tickt, dürfte es schwer werden, alle Aufgaben alleine zu bewältigen.

Eine hohe Bedeutung kommt auch der Ausrüstung der Raumfahrer zu. Bei Spielbeginn erhaltet ihr eine Basiswaffe, die bei jedem der sechs Charaktere anders ausfällt. Weiteres Equipment könnt ihr in den Räumen der Nemesis sammeln. Je nach Raum lassen sich auf dem Schiff neue Waffen, technische Hilfsmittel und medizinische Ausrüstung finden. In bestimmten Räumen könnt ihr mit den passenden Gegenständen auch spezielle Ausrüstung zusammenbasteln. So wird aus ein paar Chemikalien und einigen Werkzeugen ein ganz passabler Flammenwerfer.
Rollen der Crew
Es ist jedoch nicht nur die Ausrüstung, die euch als Raumfahrer ausmachen. Noch bedeutsamer ist die Wahl der Rolle, die ihr vor Spielbeginn tätigt. Zur Wahl stehen folgende sechs Rollen: Captain, Aufklärerin, Mechaniker, Wissenschaftler, Soldat und Pilotin. Jeder von ihnen verfügt über ein individuelles Set aus Karten, mit denen ihr eure Aktionen durchführt. Aus taktischen Gründen wählt ihr euren Charakter erst nachdem ihr euch mit den Zielen vertraut gemacht habt. Sollte eure Mission etwa darin bestehen, die Alien-Königin zu eliminieren, habt ihr es mit dem Soldaten sicherlich leichter als wenn ihr es mit dem rollstuhlfahrenden Wissenschaftler versucht.

Nachdem ihr eure Aktionen durchgeführt habt, bleiben die Aliens natürlich auch nicht untätig. Ihre Bewegungen sind etwas unkoordiniert. Einmal im Kampf, bleiben sie hart und unerbittlich. Befinden sie sich jedoch alleine im Raum, wandern sich nach dem Chaosprinzip durch die Gänge. Ein gezieltes Verfolgen eines Opfers ist nicht vorgesehen. Deshalb kann die Flucht auch eine durchaus sinnvolle Option sein, selbst wenn dies den Aliens einen zusätzlichen Angriff erlaubt.
Ein Brettspiel aus Hollywood
Die Kämpfe selbst laufen recht unkompliziert ab. Je größer und mächtiger das Alien, desto schwerer wird es auch, einen Treffer zu erzielen. Die Symbole auf den Schadenswürfeln zeigen an, bei welchem Alien-Typus ihr einen Schadenspunkt anrichtet. Schadenspunkte werden durch Marker auf der Alien-Miniatur angezeigt. Durch eure Waffen erhaltet ihr häufig noch einige Modifikationen, ansonsten werden die Kämpfe nach dem bekannten Schema abgewickelt.

Bei der unbekannten Alien-Spezies lässt sich leider kaum absehen, wie schwer ihre Verletzungen sind. Immer wenn ihr Schaden angerichtet hat, wird eine Karte aufgedeckt. Diese zeigt euch die Lebenspunkte des Aliens an. Liegen ausreichend Schadensmarker auf der Miniatur, habt ihr das Monster vernichtet. Andernfalls geht der Kampf weiter, zieht beim nächsten Angriff aber wieder eine neue Karte, um die Lebenspunkte des Aliens zu ermitteln. Dadurch könnt ihr euch nie ganz sicher sein, wieviel Schaden das Monstrum tatsächlich einstecken kann. Jeder Kampf bleibt so ein ständiges Bangen und Hoffen.
Nach spätestens fünfzehn Runden ist der Schrecken beendet und die Nemesis springt in den Hyperraum. Sofern ihr euch jetzt nicht wieder in den Tiefschlaf versetzt oder aber zuvor in einer Rettungskapsel das Weite gesucht habt, werdet ihr nun von den G-Kräften im Schiff zerquetscht. Die Zeit setzt auch somit zusätzlich unter Druck. Anschließend wird überprüft, ob ein oder vielleicht auch mehrere Spieler ihre Mission erfüllt haben. In Nemesis kann es auch mehrere Sieger geben. Auf der anderen Seite besteht die durchaus realistische Option, dass gleich alle Spieler gnadenlos scheitern.
Die deutschsprachige Version von Nemesis kommt über Asmodee in den Handel. Aufgrund der mehr als üppigen Ausstattung ist Nemesis kein Schnäppchen. Das Spiel wandert für 130€-150€ über den Ladentisch. Mit dabei ist dafür auch ein Solo-Modus sowie eine Variante für Spieler, die es etwas friedliebender mögen. Im vollkooperativen Modus entfällt das Spinnen von Intrigen und alle Raumfahrer ziehen an einem Strang. Bis zu fünf Spieler können an einer Partie teilnehmen. Ein Spieldurchlauf dauert zwischen einer und zwei Stunden.
Fazit

Nemesis hat alle Stellschrauben auf Horror gestellt und spielt meisterhaft auf der Klaviatur des Schreckens. Die Vermittlung der düsteren Atmosphäre und der hohe Immersionsgrad sind die großen Stärken des Spiels. Da fällt es auch nicht mehr sonderlich schwer ins Gewicht, dass Nemesis rein mechanisch kein Feuerwerk abbrennt. Autor Adam Kwapinksi hat sich voll und ganz auf den Horror-Aspekt konzentriert. Diese entsteht nicht nur durch die Alien-Spezies allein. Die Mission kann an vielen Stellen zum Scheitern gebracht werden. Defekte an Bord, grassierende Brände oder ausgefallende Triebwerke sind ebenso eine Bedrohung wie falsche Flugkoordinaten und die unerbittlich heruntertickende Uhr. Den wohl größten Gruselfaktor aber bringen wohl die eigenen Kameraden ins Spiel. Wer euch eben noch aus einer misslichen Situation geholfen hat, kann im nächsten Augenblick schon euer ärgster Rivale werden. So wabert die Paranoia als stetiger Begleiter mit euch durch das Spiel. Im vollkooperativen Modus fällt dieses Überraschungsmoment natürlich weg, ansonsten funktioniert Nemesis aber auch mit diesem anderen Ansatz sehr gut. Viel Lob gibt es ebenso für das Material. Die teilweise riesigen Miniaturen sind absolut hochwertig und tragen so maßgeblich zum Spielgefühl bei. In Sachen Atmosphäre und Spannung ist Nemesis ein echter Meilenstein. Ganz großes Kino!
PROS | CONS |
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+ Hoher Immersionsgrad | - Hoher Anschaffungspreis |
+ Sechs verschiedene Charaktere mit individuellen Eigenschaften | - Brennt spielmechanisch kein Feuerwerk ab |
+ Atmosphärisch stark | |
+ Hochwertiges Material | |
+ Auch vollkooperativ spielbar | |
+ Mit Solomodus | |
+ Voller Überraschungsmomente | |
+ Spannende Gefechte mit Aliens |