Test: First Class

Eisenbahn-Romantiker aufgepasst! Der Hans-im-Glück-Verlag und Schmidt Spiele haben zur Spielemesse in Essen ein neues Brettspiel mit Eisenbahn-Thema veröffentlicht. Im Mittelpunkt steht dabei natürlich nicht die Deutsche Bahn mit ihren überfüllten Zügen und den ständigen Verspätungen, sondern der wunderbare Orientexpress. Doch auch dieser fährt nicht von alleine. Bevor der Zug letztlich seinen Weg nach Konstantinopel antritt, erwartet euch reichlich viel Arbeit.
Es steckt einiges an Material in First Class. Haufenweise Karten, Tableaus, Plättchen und gleich zwei Anleitungen. So mancher Spiele-Neuling mag da gleich verschreckt das Handtuch werfen. Dabei ist alles halb so wild. Die gut illustrierte Anleitung führt euch strukturiert und ganz sanft in die Regeln des Spiels ein. Da zeigt sich die jahrelange Erfahrung des Verlags.
Ihr startet das Spiel mit jeweils einem eigenen Tableau. An diesem baut ihr im Spielverlauf eure beiden Züge zusammen. Zu Beginn verfügt ihr nur über zwei einfache Waggons, sie bilden das Ende eurer zwei Züge. Stück für Stück könnt ihr weitere Waggons hinzufügen oder die Qualitätsstufen verbessern. Erst wenn ihr neun Wägen in einem Zug besitzt, bekommt ihr die Lokomotive und die Fahrt in den Orient kann beginnen.
Viele kleine Entscheidungen führen zum Sieg
Gesteuert wird First Class über Aktionskarten. In jeder Runde liegen 18 dieser Karten offen vor euch aus. Seid ihr an der Reihe, dann nehmt ihr euch eine beliebige dieser Karten und führt die darauf verzeichnete Aktion aus. Klingt einfach und spielt sich auch so. Pro Runde kommt ihr dreimal an die Reihe, könnt euch also insgesamt drei Aktionskarten nehmen. Anstatt die Aktion der gewählten Karte auszuführen, könnt ihr die Aktion auch ablehnen. Als Bonus dürft ihr nun einen beliebigen Waggon von euch um eine Stufe aufwerten. Je höher die Stufe eines Waggons ist, desto mehr Siegpunkte bringt er euch am Spielende ein. Die gut betuchten Passagiere zahlen für eine höhere Qualität eben auch gutes Geld.
Die 18 Aktionskarten liegen in drei 6er-Reihen aus. Sobald aus einer Reihe so viele Karten genommen wurden wie es Spieler gibt, wird die komplette Reihe jedoch abgeräumt und beiseitegelegt. Das kann durchaus ein strategisches Element sein. Befinden sich in einer Reihe vielleicht noch Karten, die für die Gegenspieler besonders wertvoll sind, kann es sich lohnen die Kartenreihe durch geschicktes Wählen abzuräumen. Schon anhand von diesem trivialen Beispiel zeigen sich die vielen kleinen Finessen in First Class. Häufig werdet ihr vor kleine Entscheidungen gestellt, die das Spiel zwar vielleicht nicht direkt komplett kippen lassen, aber doch sichtbare Auswirkungen zeigen.
Der Zugaufbau
Die Aktionskarten sind vielfältiger Natur. Glücklicherweise sind die im Spiel verwendeten Symbole schlüssig gestaltet. So werdet ihr sie schon recht schnell nicht mehr nachschlagen müssen. Eine bedeutsame Aktion ist natürlich das Aufnehmen eines neuen Waggons. Ein neuer Waggon startet immer in der schlechtesten Ausbaustufe. Von rechts nach links legt ihr so im Spielverlauf Waggon an Waggon. Ein neuer Waggon wird dabei immer ganz rechts an den aktuellen Zug angegliedert.
Durch weitere Aktionskarten könnt ihr die Waggons auch aufwerten. Dabei gilt zu beachten, dass die Wagenteile in der Qualität von rechts nach links in absteigender Reihenfolge sortiert bleiben müssen. Ganz links befinden sich also die Waggons mit der höchsten Qualitätsstufe. Unter den Aktionskarten findet ihr einige Varianten wieder, um eure Wagenteile aufzuwerten.
Eine weitere gewichtige Rolle im Spiel kommt auch den Schaffnern zu. Pro Zug bekommt ihr schon zu Spielbeginn einen Fahrkartenkontrolleur. Dieser wandert von hinten nach vorne durch den Zug und knippst die Fahrscheine der Gäste ab. Der Clou dabei ist, dass nur die Waggons in die Wertung gelangen, die vom Schaffner schon begangen worden sind. Ein schöner langer Zug nutzt euch also herzlich wenig, wenn ihr es nicht schafft, den Schaffner durch die Abteile zu scheuchen. So findet ihr unter den Aktionskarten auch Möglichkeiten wieder, um den Kontrolleur zu bewegen.
Von Bahnhof zu Bahnhof
Noch nicht genug? Dann dürft ihr euch freuen, denn mit dem Streckentableau kommt noch ein weiteres Element hinzu. Der erste Teil der Strecke befindet sich auf eurem Tableau selbst. Durch Streckenkarten, die sich ebenfalls unter den Aktionen befinden, könnt ihr weitere Bahnhöfe hinzufügen, die euer Orientexpress anfahren kann. Eine Streckenkarte alleine bringt euch noch keine Vorteile ein. Erst wenn die kleine Lok aus Holz über die Bahnhöfe fährt, gibt es Punkte oder Boni. Einige Bahnhöfe geben euch einmalig Siegpunkte, andere schütten am Spielende Boni aus.
Wenn ihr jetzt noch über Kapazitäten verfügt, könnt ihr zwischenzeitlich auch noch ein paar Aufträge erfüllen. Aufträge müsst ihr euch ebenso als Aktionskarte sichern. Habt ihr beispielsweise eine gewisse Qualitätsstufe in eurem Zug erfüllt, kassiert ihr einen Bonus ein.
Zu guter Letzt habt ihr aber auch noch die Möglichkeit, ganz auf das Nehmen einer Aktionskarte zu verzichten. In diesem Fall sichert ihr euch das Startspielerplättchen. In der nächsten Runde seid ihr dann der erste Spieler. Außerdem werden noch ein paar Goodies an alle Spieler verteilt, abhängig von der Sitzkonstellation.
Bleiben noch die sogenannten Spielende-Karten. Zu Spielbeginn verfügt jeder von euch schon über eine dieser Karten. Zum Preis von vier Münzen oder über bestimmte Aktionen könnt ihr an weitere Spielende-Karten gelangen. Diese Kartenkategorie schüttet am Ende zusätzliche Punkte aus. Die Höhe der Punkte ist abhängig von den im Spielverlauf gespielten Aktionskarten. Aktionskarten sind in die drei Gruppen Waggon, Lok und Schaffner unterteilt. Die Zahl der Aktionskarten wird nun mit dem Wert auf der Spielende-Karte multipliziert. Das kann am Spielende nochmal für einen netten Punkteboost sorgen. Ihr solltet diesen Faktor daher auf keinen Fall ganz aus den Augen verlieren.
Zwischenwertungen machen das Spiel spannend
Eine Wertung findet allerdings nicht nur am Ende des Spiels statt. In First Class werden drei Zwischenwertungen durchgeführt. Nach der ersten Runde werden die zweiten 18 Aktionskarten ausgelegt. Diese zweite Runde wird ganz normal gespielt. Alle zwei Durchläufe kommt ein komplett neues Set mit Aktionskarten ins Spiel. Bevor dieses auf den Tisch kommt, wird eine Zwischenwertung durchgeführt. Hier bekommt ihr jetzt die Boni für die Strecke, die euer Zug schon durchfahren und natürlich auch für die Waggons, sofern der Schaffner diese schon begangen hat.
Wie ihr seht, gibt es also ziemlich viele kleine Stellschrauben, die für euch die Weichen auf Sieg stellen können. Genau das macht auch den großen Reiz von First Class aus. Das weitere ganz dicke Plus ist die Modularität des Spiels und die damit verbundene Vielfältigkeit. Im Spiel gibt es fünf Module, die wahlweise zum Einsatz kommen. Für jedes Spiel wählt ihr zwei beliebige Module aus. So habt ihr reichlich Möglichkeiten, den Spielablauf etwas zu verändern. Alle Module werden in der eingangs erwähnten zweiten Anleitung erklärt.
Module sorgen für viel Abwechslung
Am einfachsten spielt sich das Modul A, bei dem es zusätzliche Aufträge gibt. Sie werden unter die Aktionskarten gemischt und tauchen dadurch im Verlauf wieder auf. Der Verlag empfiehlt dieses Modul gemeinsam mit Modul B bei der ersten Partie zu verwenden. Bei letzterem handelt es sich um „Berühmtheiten und Postkarten“. Die Promis geben euch zusätzliche Siegpunkte, wenn sie mit einem eurer Waggons reisen. Sie besitzen einen Faktor, der mit dem Wert des Waggons multipliziert wird. Die Postkarten hingegen legt ihr unter den Streckenkarten ab. Sahnt ihr in der Wertungsphase dort den Bonus ab, erhaltet ihr diesen durch eine Postkarte gleich zweimal.
Einige Module fallen auch ein wenig komplexer aus. So bringt euch Modul D „Passagiere und Gepäck“ hinzu, während es in Modu E um „Mechaniker und Weichen“ geht. Besonders spannend wird es mit dem Modul C. Hier findet ein Mord im Orientexpress statt. Ein Spieler ist dabei der Mörder und versucht seine Spuren zu verwischen. Wenn ihm dies gelingt, bekommt er ein paar Siegpunkte extra. Möglicherweise wird aber auch ein unschuldiger Spieler verknackt. Egal ob schuldig oder unschuldig, der verhaftete Spieler hat das Spiel auf jeden Fall verloren.
Am besten ihr experimentiert mit den verschiedenen Modulen ein wenig herum. Dank fünf unterschiedlicher Mini-Erweiterungen wird es so schnell wohl nicht langweilig. Der Wiederspielwert ist also ziemlich hoch.
Zum Abschluss sollte das vorbildliche Design des Inlays der Verpackung nicht vergessen werden. So viel Material muss erst einmal gut verwaltet werden. Der ganze Kram fliegt nicht einfach so in der Verpackung herum und wird auch nicht einfach in schnöden Plastiktütchen gelagert. Alle Materialien werden in einem Inlay sauber aufgehoben und sortiert. So findet ihr immer alles an seinem dafür vorgesehenen Platz wieder.
Pros
Cons
Fazit
Die Messeneuheit vom Hans-im-Glück-Verlag wird jedes Jahr heiß erwartet. In diesem Jahr wurden die Spieler nicht enttäuscht. First Class fand sich völlig zurecht auf den Highlight-Listen der Essener Messe wieder. Die hohe Qualität des Spiels zieht sich durch alle Bereiche. Beginnend bei der sehr guten Anleitung, über die tolle Gestaltung der Materialien, das Inlay, das liebevoll aufbereitete Thema, die gut ineinandergreifenden Spielmechaniken und den hohen Wiederspielwert, First Class hält das Niveau auf einem ganz hohen Level.