Dr. Kawashima wurde zur Videospiel-Legende, von Gaming hält er allerdings nichts
Besserwisser, Superhirn und Spiele-Kritiker. Der echte Dr. Kawashima ist genau so ein Schlitzohr wie sein digitales Alter Ego auf dem Nintendo DS.
Tōhoku, Japan – Wer schon mal Gehirnjoggen war, weiß, dass Dr. Kawashima ein ganz schöner Troll sein kann. Scharfe Zunge, gnadenlos japanische Mentalität und dieses diabolische Grinsen: Das vernichtende Hirnurteil über das eigene geistige Alter fürchteten in den 00er Jahren viele. Dr. Kawashimas Gehirn-Jogging für den DS war gerade in Deutschland nicht wegzudenken und ist einer der ganz großen Topseller des Jahrzehnts gewesen. Wer glaubt, Nintendo habe sich den Besserwisser nur ausgedacht, liegt falsch. Der echte Kawashima ist genau so ein Schlitzohr wie das schwebende Superhirn aus den Spielen.
Videospiel | Dr. Kawashimas Gehirn-Jogging |
Datum der Erstveröffentlichung | 19. Mai 2005 |
Entwickler | Nintendo, Nintendo Software Planning & Development |
Plattform | Nintendo DS |
Genre | Denkspiel |
Dr. Kawashimas: Nintendo hat sich den Besserwisser nicht ausgedacht
Im wahren Leben hat er auch einen Vornamen und der lautet Ryuta. Ryuta Kawashima ist keine Kunstfigur, sondern ein Neurophysiologe. Der Doktor ist ebenfalls echt. Eigentlich ist Ryuta Kawashima sogar Professor an der japanischen Universität Tōhoku, wo er das Institut für Development, Aging and Cancer und das Smart-Aging Research Center leitet. Wie kam er dann aber unter den Stylus von Abermillionen Gamern?
Mitte der 00er Jahre suchte Nintendo nach einem Hit für ihren brandneuen Handheld, den Nintendo DS. In der Chefetage des Kultentwicklers ging der Ratgeber Train Your Brain: 60 Days to a Better Brain umher, der in Japan zu der Zeit ein bahnbrechender Erfolg war. Der damalige Nintendo-Chef Satoru Iwata witterte einen Hit, der speziell die alte Bevölkerung Japans ansprechen sollte. Spieler und Spielerinnen könnten Übungen absolvieren und ihre Ergebnisse dann miteinander vergleichen. Nur mit Autor Ryuta Kawashima in Kontakt zu treten, stellte sich als schwieriger heraus als gedacht.

Kawashima schien einem Treffen mit Iwata nicht sonderlich entgegenzujubeln. Kein Wunder, eigentlich ist Kawashima alles andere als ein Gamer. Der echte Kawashima ist sogar ein notorischer Videospiel-Kritiker. Eine seiner in Fachkreisen heftig umstrittenen Studien legt nämlich nahe, dass der Frontallappen des Hirns beim Spielen von Videospielen nicht stimuliert wird. Kurz gesagt: Zocken verblöde.
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Kind des Hirnforschers möchte man deshalb wohl nicht sein. Die vier Söhne von Dr. Kawashima durften nur am Samstag und Sonntag je eine mickrige Stunde zocken. Letztendlich konnte Nintendo aber doch die Aufmerksamkeit des viel beschäftigten Doktors gewinnen. Wie bei seinen Kindern gab er Nintendo dafür nur eine einzige Stunde. Die legte Kawashima gnadenlos auf den Release-Tag des Nintendo DS und lies Nintendo-Chef Iwata zu sich anreisen.
Verblüffenderweise schien das Treffen für Kawashima dann aber anregender als erwartet gewesen zu sein. Aus der angesetzten Stunde wurde eine dreistündige Brainstorming-Session. Hände wurden geschüttelt und 2005 erschien Dr. Kawashimas Gehirn-Jogging in Japan. Ein riesiger Hit.
Dr. Kawashimas: Der Effekt des Gehirn-Joggings bleibt umstritten
Bis heute werden Spiele unter dem „Dr. Kawashima“-Label veröffentlicht. Zuletzt erschien 2020 Dr. Kawashimas Gehirn-Jogging für die Nintendo Switch. Tatsächlich ist der Effekt, den das Gehirn-Jogging auf das eigene Hirn hat, laut einer im Fachmagazin „Nature“ veröffentlichten Studie aus Großbritannien, aber mehr als fraglich. Statistisch konnte kein Unterschied zwischen Kawashima-Spielern und Hirnsportmuffeln festgestellt werden.

Kawashima selbst glaubt aber weiterhin fest an seine Methoden. So behauptete er in den 10er Jahren, mit einem sechs Monate langem Programm sogar Landgewinne gegen die unheilbare Krankheit Demenz errungen zu haben. Dass Kawashima es mit seiner Forschung absolut ernst meint, lässt jeder seiner öffentlichen Auftritte erahnen. Das große Geld durch seine Spiele hat der Professor aus Tōhoku zudem nie gewollt.
Eine Zahlung von knapp 22 Millionen Dollar für das erste Kawashima-Spiel lehnte er stur ab. Am Ende einigten sich Kawashima und Nintendo auf eine jährliche Zahlung von 100.000 Dollar, die seither für seine Forschung genutzt wird. Weitere 11 Millionen Dollar wurden an die Behandlung von Schlaganfällen gespendet. Gegenüber Wired führte Kawashima aus: „Jeder in meiner Familie war wütend auf mich, aber ich sagte ihnen, dass sie nach draußen gehen und es selbst verdienen müssen, wenn sie Geld wollen.“