Es kommt nicht immer auf die Länge an – Darum sind kurze Spiele euer Geld wert
Live-Service, Battle Passes, Open Worlds – Von unseren Spielen erwarten wir immer mehr Content, kurze Spieldauer wird dagegen verspottet. Das muss sich ändern.
Hamburg – Wer in den letzten Jahren in der Gaming-Bubble auf Twitter unterwegs war, hat mit Sicherheit schon einen dieser Sprüche gesehen: „Spiel XY ist nur 8 Stunden lang, dafür gebe ich keine 70 Euro aus lol.“ Kurze Spiele werden im Internet immer öfter verteufelt, gefühlt alles unter 30 Stunden macht sich bei den Spieler*innen zum Gespött. Das Argument ist einfach: Warum sollte man 70 Mücken für 8 Stunden hinlegen, wenn man für den gleichen Preis 80 Stunden haben kann? Aber es kommt eben nicht immer auf die Länge an, im Gegenteil. Ich sage, wir sollten wieder mehr kurze Spiele spielen.
Spiele wollen ständig unsere Aufmerksamkeit – Wer nicht zockt, verpasst was
Spiele buhlen ständig um unsere Aufmerksamkeit, wie so ziemlich alles in der digitalen Welt. „Player Retention“ ist das große Buzzword: Die Fans sollen ein Spiel nicht bloß kaufen, sie sollen es vor allem möglichst lange zocken. Dafür sind die Taktiken der Entwicklerstudios immer perfider geworden. Seasons, Battle Passes und vollgestopfte Open Worlds sollen uns das Gefühl geben, immer was Neues, immer „noch mehr“ erleben zu können. Wer nicht jeden Tag spielt, wer nicht jedes letzte Fragezeichen der Map aufdeckt, verpasst etwas. FOMO (Fear of missing out) stellt sich ein.

Entwicklerstudios wollen uns immer länger in einem Spiel festhalten und diese Mentalität hat sich mit der Zeit auch auf uns Spieler*innen übertragen. Je länger man an einem Spiel hängt, desto besser. Da ist das Geld doch gut investiert, oder? Gaming ist zu einem Luxus geworden und will ja ein gutes Verhältnis von Spielzeit zu bezahltem Preis haben – geil, wenn ich 100 Stunden in Modern Warfare 2 zubringe, hab ich pro Stunde nur 70 Cent bezahlt. Dagegen soll ich dann 70 Euro für 10 Stunden Dead Space hinlegen? Das wären ja ganze 7 Euro die Stunde, was für ein beschissener Deal.
Gaming ist Trash geworden – aber das muss nicht so sein
Das Problem daran ist, dass dieses Denken unseren Spaß an Spielen auf diesen einen Faktor runterbricht. Spielzeit wird immer mehr zum obersten Gebot, ob das Spiel denn auch die nötige Qualität hat, scheint zweitrangig. Videospiele werden hauptsächlich zu Produkten, die wir konsumieren und irgendwann wegwerfen, wenn etwas anderes unsere Goblin-Hirne besser, länger und ausdauernder kitzeln kann. Gaming ist Trash geworden, im buchstäblichen Sinne, dass die Spiele irgendwann im virtuellen Abfall unserer PS5- oder Xbox-Bibliotheken versauern.
Aber das ist eben nur eine Seite der Medaille. Man kann auch anders nach dem Wert eines Spiels fragen. Wie lange zehrt man noch von einem Spiel, nachdem man damit fertig ist? Wie lange redet man darüber mit Freunden, wie oft macht man Anspielungen darauf, zitiert es, erkennt Versatzstücke in anderen Spielen wieder? Wie lange lebt das Spiel nach dem Zocken im Kopf weiter? Ich bin jetzt mal der prätentiöse Vollarsch, der Worte wie „prätentiös“ benutzt: die Indie-Perle Outer Wilds ist ein perfektes Beispiel dafür.

Gute Geschichten dürfen kurz sein – wenn sie lange im Kopf bleiben
Outer Wilds kann man, in der von den Entwickler*innen beabsichtigten Form, nur einmal durchspielen. Weiß man von den großen Twists und den Zielen des Spiels, kann man es in knapp 20 Minuten beenden, die „Magie“ verschwindet. Aber dieses erste Playthrough, diese knappen 20 Stunden, in denen ich ein völlig fremdes Sonnensystem immer und immer wieder erforscht habe, seine Bewohner, Planeten und Geschichten kennenlernte, daran denke ich seit über einem Jahr mehrfach die Woche. Und ich werde immer noch emotional, wenn ich den Soundtrack höre.
Ein Spiel muss nicht 30 Stunden oder mehr brauchen, um eine starke Geschichte zu erzählen, um seine Wirkung auf den Spieler oder die Spielerin zu entfalten. Gerade Horrorspiele funktionieren oft besser in der Kürze. Silent Hill, Resident Evil, Dead Space, Signalis und Amnesia dauern allesamt um die zehn Stunden oder noch weniger, nutzen ihre Zeit aber oft mit absoluter Effizienz. Auch andere Genres können verdammt gut mit der Kürze umgehen, Titanfall 2 ist knappe acht Stunden lang und ist in Storytelling und Leveldesign den meisten aktuellen Shooter-Kampagnen trotzdem Jahre voraus.
Starkes Gameplay schafft Wiederspielwert – egal, ob in 10 oder 100 Stunden
Aber es muss nicht nur die Story sein, die ein kurzes Spiel euer Geld wert macht und auf etwas so esoterisches wie Erinnerungen und Gefühle abzielt. Kurze Spiele können genauso gut ihre Begrenztheit nutzen, um Gameplay auf die absolute Spitze zu treiben. Tony Hawk‘s Pro Skater 1+2 oder OlliOlli World können einem in fünf Stunden oder weniger die Credits zeigen, aber in dieser Zeit einen so berauschenden Flow schaffen, dass sie auch beim 5. Durchlauf noch Spaß machen – vielleicht sogar mehr als im ersten Playthrough.

Donkey Kong Country Tropical Freeze hat einen ähnlichen Anspruch, aber statt mich ein einzelnes Set an Mechaniken perfektionieren zu lassen, bombardiert es mich in jedem Level mit einem völlig neuen Gimmick. Da ist eine einzelne Idee für ein Level so kreativ und reichhaltig, dass ich nicht nur das Spiel, sondern ein spezifisches Level wieder und wieder spielen will. Diese intrinsische Motivation zum Zocken um des Gameplays Willen können kurze Spiele mindestens genauso gut kitzeln, wie ihre Gegenstücke, die dutzende Stunden füllen möchten. Lieber spiele ich zum dritten Mal das selbe Level in Hi-Fi Rush, als dass ich in Assassin‘s Creed Valhalla ewig lange Checklisten abarbeite.
Perfektes Gaming ist, wenn alles ineinandergreift
Zuletzt gibt es dann noch die seltenen Spiele, die Gameplay und Story gleichzeitig verweben und in wenigen Stunden ein Gesamtkunstwerk abfeuern. ICO und Shadow of the Colossus sind solche Fälle, die genau wissen, wie sie mit ihrer Zeit umgehen müssen, um das Gameplay spannend und die Story fesselnd zu machen. Keines der beiden Spiele braucht dafür länger als acht Stunden. Trotzdem prägen sie Gaming bis heute, die Schöpfer*innen von The Last of Us oder Dark Souls haben selbst wiederholt öffentlich ihre Liebe zu ICO bekundet.

Ich will mit alldem nicht sagen, dass lange Spiele schlecht und kurze Spiele gut sind. Red Dead Redemption 2 ist nicht nur gut, weil es schick aussieht und Arthur‘s Story mich innerlich zerstört hat, es hat mir über 80 Stunden hinweg die Zeit gegeben, um Arthur mit nahezu allen Facetten kennenzulernen, ein allumfängliches virtuelles Leben als Outlaw zu führen. Persona 5 braucht die enorme Spielzeit, damit es sich mit seinen Charakteren voll entfalten kann. Elden Ring und Breath of the Wild verlangen zu Recht knapp 100 Stunden von mir, um einige der besten Open Worlds überhaupt zu erforschen.
Lange Spielerfahrungen sind euer Geld, wenn sie respektvoll mit eurer Zeit umgehen, absolut wert und können einige der besten Gaming-Erfahrungen bieten. Aber kurze Spiele können das genauso gut, in weniger Zeit und zum gleichen oder sogar geringeren Preis. Kurze Spiele sind euer Geld absolut wert, weil sie oft perfekt mehrfach spielbar sind, weil sie oft in ihrer Kürze perfektes Storytelling betreiben, und in ganz seltenen Fällen beides auf einmal schaffen. 6 Stunden Spielzeit können hunderte Stunden im Herz oder im Kopf weiterleben.