The Last of Us auf Erfolgskurs: doch wie viel Spiel darf in einer Serie stecken?
Wie nah müssen Adaptionen an der Vorlage bleiben? The Last of Us lässt zwei unserer Redakteure hitzig diskutieren. Geht die Serie zu weit oder nicht weit genug?
Hamburg – Wer die neue Videospiel-Adaption zu The Last of Us gesehen hat, dem sind sicherlich einige Gemeinsamkeiten – aber auch Unterschiede – zu dem beliebten Spiel von Naughty Dog aufgefallen. Für unsere Redakteure Jonas und Josh lässt sich aber darüber streiten, wie weit eine Serie gehen darf. Ändert HBO zu wenig an der bekannten Geschichte oder ist The Last of Us nicht originalgetreu genug adaptiert worden?
Serie | The Last of Us |
Sender | Home Box Office |
Genre | Apokalypse und Postapokalypse |
Idee | Craig Mazin, Neil Druckmann |
Schauspieler | Pedro Pascal, Bella Ramsey |
Starttermin | 16. Januar 2023 |
The Last of Us – Vorreiter für gute Adaptionen oder kreativer Rückwärtssalto?
The Last of Us in der Diskussion: Die Hit-Serie zu The Last of Us ist Gegenstand vieler Diskussionen im Internet. An vielen Stellen können Serie und Spiel völlig austauschbar nebeneinander gehalten werden – an anderen Stellen suchen Gaming-Fans vergeblich den Einfluss des Spiels. Dadurch kommt die Frage auf, wie viel Spiel überhaupt in einer Serie stecken muss (oder darf), um den Ansprüchen der Fans gerecht zu werden.
Viele Leute verstehen es falsch, sie denken das Gameplay der Spiele auf dem Bildschirm sehen zu wollen.
Serien- und Spielschöpfer Neil Druckmann hat sich viel mit der Kritik rund um Videospiel-Adaptionen auseinandergesetzt und im New Yorker über das Thema gesprochen. Er meint, dass sich Videospiele nicht immer leicht in Serien oder Filme übersetzen ließen. Und die Forderung, Gameplay der Spiele in der Adaption wiedererkennen zu wollen, sei ein Trugschluss der Fans. Unser Redakteur Jonas stimmt der Meinung von Druckmann voll zu.
„Völlig verdrehte Erwartungshaltung“: Jonas meint, dass Videospiel-Fans zu viel Game erwarten
Jonas sagt: Recht hat Neil Druckmann. Videospiele sind Videospiele und Serien nun mal Serien. Natürlich müssen sich Adaptionen folglich auch grundlegend unterscheiden. Die beiden Medien funktionieren trotz ihrer vielen Schnittmengen grundlegend anders. Genau wie bei vermeintlich misslungenen Adaptionen des Lieblingsromans kranken auch Spielverfilmungen oft an einer völlig verdrehten Erwartungshaltung. Filme sind keine Bücher und Spiele keine Serien. Wie könnten sie das auch sein?
Die Unterschiede zwischen den Medien sollten Kunstschaffende daher vielmehr nutzen, um neue Facetten aus einem bekannten Grundriss zu schlagen: Zusätzliche Zimmer im alten Mauerwerk, in denen wir wohnen können. Wer nur gedankenlos adaptiert, verrichtet nutzlose Arbeit, die keinen von uns voranbringt. Denn wer besonders originalgetreues Gameplay zu The Last of Us haben möchte, dem steht mit den Spielen ja bereits die bestmögliche Variante dafür zur Verfügung.

Josh sagt: Wenn Videospiele Videospiele, Filme Filme und Serien Serien sind, warum bedient man sich dann an einem Franchise, dessen Anspruch man nicht gerecht werden kann? Es geht nicht um die Erwartungshaltung der Zuschauer – wenn ein Spiel nicht stimmig für TV und Kino übersetzt werden kann, sollte man es direkt lassen. Wenn sich die Verfilmung grundlegend von der Vorlage unterscheidet, nutzt man den Namen des Spiels nur für geistlose Publicity.
Selbstverständlich kann man neue Zimmer im alten Mauerwerk errichten, doch sollte man nicht ein ganzes Haus auf der anderen Straßenseite bauen – dafür sind Spin-offs da. Aus genau diesem Grund habe ich aufgehört, mich auf Videospiel-Filme zu freuen: Eigentlich will man eine eigene Geschichte erzählen, stellt sie aber auf die Schultern von Charakteren und Welten, die sie nicht tragen können. Erzählt eure Geschichte: wenn sie gut ist, wird sie den Namen des Spiels nicht brauchen.

„Bosskämpfe sollen Bosskämpfe bleiben“: Serien-Adaptionen sollten ihre Wurzeln nicht vergessen, klagt Josh
Jonas sagt: In der Filmwissenschaft unterscheidet Rick Altman für Genres zwischen Semantik und Syntax. Semantik, das bedeutet besondere Symbole, die wir mit einem Genre identifizieren. Prärie, Revolver und Cowboyhut, das assoziieren wir beispielsweise sofort mit Western. Die Syntax wiederum beschreibt, auf welche Art und Weise eine Geschichte erzählt wird. Die Zuschauerschaft ist eine bestimmte Struktur gewohnt und weiß, wie die Stationen eines Westerns auszusehen haben. Fehlt am Ende ein Showdown um High Noon, dann sind wir enttäuscht. Ich glaube, dieser Unterschied zischen Semantik und Syntax kann uns auch bei Adaptionen weiter helfen.
Filme und Videospiele können sich ohne Probleme dieselbe Semantik teilen. The Last of Us zeigt das sehr gut. Übernommen wurden die furchteinflößenden Clicker, unverkennbare Charakterzüge von Joel und Ellie oder das zugrunde gegangene Amerika im Allgemeinen. Die Syntax der Spiele übernimmt die Serie aber glücklicherweise nicht. Immer wiederkehrende Endgegner, ständiges Crafting oder das unaufhörliche Töten von Infizierten funktioniert in Serienform nicht. Eine gute Spieladaption sollte und muss neue Pfade beschreiten und kann sich dabei gerne an der Semantik der Vorlage bedienen.

Josh sagt: Zwar denke ich auch, dass The Last of Us eher ins gelungene Spektrum der Adaptionen gehört, doch liegt das eher daran, dass es die Syntax des Spiels überhaupt erst zulässt. Das Spiel hat eine sehr filmische Art, seine Geschichte zu erzählen und trotzdem hat man sich kreative Freiheiten genommen, wo sie nicht nötig gewesen wären. Zum Beispiel Bill als Charakter in der Serie mit aufzunehmen, hätte wohl niemandem geschadet. Natürlich erwarte ich nicht, dass Ellie und Joel ständig draufgehen, um vollkommen erinnerungslos beim letzten Checkpoint zu starten. Aber man wird doch wohl erwarten dürfen, dass wenigstens die Charaktere in ihre gewohnten Rollen schlüpfen.
Wenn ich sage, dass ich „Gameplay auf dem Bildschirm“ haben will, dann sollen sich die Spannungsbögen von Serie und Spiel gleichen. Bosskämpfe sollen Bosskämpfe bleiben. Selbst das Crafting hätte man wenigstens Off-Screen übernehmen können – mit Nägeln durchsetzte Brandbomben gehören einfach zu The Last of Us dazu. Ansonsten verkommt es nur zu einem weiteren Zombie-Flick, der halbwegs verdaulich ist, weil dir ein Game verspricht, dass die Story noch gut wird.

The Last of Us ist eine gelungene Adaption – doch leider trifft das nicht immer zu
Jonas sagt: Ich glaube im Kern sind wir uns eigentlich einig, dass bei The Last of Us ziemlich viel richtig gemacht wurde. Es gibt durchaus Folgen, die sich stark an der Vorlage bedienen und auch dem Gameplay der Spiele Tribut zollen. Andere, wie die von dir erwähnte Ballade von Bill und Ted in Episode 3 erfinden The Last of Us neu, ohne die Geschichte von Ellie und Joel in eine grundlegend unterschiedliche Richtung zu lenken. Zwei Herzen in einer Brust quasi – ist das nicht ein Format, auf das wir uns beide einigen können?
Josh sagt: Im Fall von The Last of Us bin ich bereit, mal ein Auge zuzudrücken – natürlich verfehlt die Neuerfindung nicht an allen Stellen. Es ist trotzdem am schönsten, wenn Shots aus Film und Spiel nebeneinander gehalten werden können und man unausweichlich zum Schluss kommt: Da wurde man dem Quellmaterial gerecht. Auch wenn sich an einigen Stellen sehr große Freiheiten genommen wurden, können sich Filmschaffende an The Last of Us ein Beispiel für ihre eigenen Adaptionen nehmen.
ingame im 1 gegen 1:
Beim Debattle Royale treffen zwei Redakteur*innen von ingame aufeinander und diskutieren über kontroverse Themen in der Welt der Popkultur. Durch das Aufeinandertreffen unterschiedlichster Meinungen stoßen wir so zum Diskurs an und präsentieren verschiedene Ansichten zu komplexen Themen.