Release (Datum der Erstveröffentlichung) | 17. Juli 2020 |
Publisher | Sony Interactive Entertainment |
Serie | - |
Plattform | PlayStation 4 |
Entwickler | Sucker Punch Productions |
Genre | Action-Adventure |
Natürlich ist das Vorhaben nicht so leicht, denn um auch nur die geringste Chance zu haben, muss man den Pfad der Samurai mehr als ein Mal verlassen und der gefürchtete Geist der Insel Tsushima werden. Über Zeit und Kämpfe verbreitet sich die Legende vom Ghost of Tsushima wie ein Lauffeuer, sodass man den Mongolen nach und nach das Fürchten lehrt. Was gut für den Kampf scheint, führt auf der anderen Seite natürlich zu vielen Konflikten, die Jin mit sich selbst und seiner Außenwelt ausfechten muss. Das ist besonders knifflig in einem Szenario, wie dem feudalen Japan, auch wenn dies im echten Leben ein wenig anders verlaufen ist.
Die Probleme sind jedoch auch in Ghost of Tsushima dieselben. So kämpft man mit Jin immer zwischen und gegen alteingesessene Familienbanden, Strukturen, Hierarchien und Motive. Und auch wenn seine eigene Entwicklung zum Ghost klar eine interessante Gratwanderung ist, bleibt die Geschichte am Ende doch recht eindimensional, gepaart mit einem extremen Hang zur Überdramatik. – eben eine Art spielbarer Samurai-Film. Das ist auch schon einer der Knackpunkte von Ghost of Tsushima, der die Verbindung für westliche Spieler, an der ein oder anderen Stelle etwas schwierig machen könnte, denn nicht jeder wird mit den Themen und Moralvorstellungen der Samurai sofort warm werden können.
Auch wenn die Geschichte uns nicht gänzlich aus den Socken gehauen hat, sind viele der damit verbundenen Elemente vorzüglich geworden. Allen voran die Zeichnung der Charaktere, die man auf seiner Reise trifft. Jeder Charakter besitzt eine ausgearbeitete Geschichte, die man mal in Haupt-, mal in Nebenstories entdecken kann. Das verleiht ihnen unglaublich viel Tiefe, womit Sucker Punch Productions sogar der Witcher-Reihe Konkurrenz machen könnte.
Leider werden die fein gezeichneten Figuren jedoch an vielen Stellen durch den Hang zur Überdramatik zunichte gemacht. Zu viel vom Spiel wird in Cutcenes gepackt, welche euch stellenweise hart aus dem Spielfluss der offenen Welt reisen. Selbst kleinste Dialoge, bei denen unwichtige NPCs als Missionsgeber fungieren, versuchen die Entwickler inszenatorisch auf den Höhepunkt zu bringen. Das schaut zwar nett aus, ist aber inhaltlich meist ohne Wert und lässt euch stellenweise unnütz vor dem Bildschirm warten.
Analog verhält es sich mit den Cutscenes, denn zu oft werden in Ghost of Tsushima die gleichen Kamera-Einstellungen und Perspektiven genutzt. Zudem passiert es allzu oft, dass der Beginn der Filmsequenzen an einem anderen Ort stattfindet als dort, wo man sich als Spieler eigentlich gerade befindet. Das bricht oft mit der Szenerie und lässt das Spiel arg gescriptet wirken. So stumpft der Effekt der Überdramatisierung schnell ab, sodass man sich gelegentlich wünscht, dass die ein oder andere Filmszene schnell ihr Ende findet. Das gilt im Übrigen nicht nur für Nebenmissionen. Auch während der Hauptgeschichte bekommt man häufiger mal schicke Szenen präsentiert. die jedoch schnell ins Schema F abdriften.
Wie in den beiden Teilen der Infamous-Reihe, setzt Sucker Punch Production auch bei Ghost of Tsushima auf eine offene Spielwelt für ihr exklusives Samurai Abenteuer auf der PS4. Insgesamt besteht die Insel Tsushima aus drei riesigen Gebieten, aus denen man nach und nach die Mongolen vertreiben muss. Folgt man dabei der über 25-stündigen Hauptgeschichte, sieht man tatsächlich nur einen Bruchteil, von dem, was es tatsächlich zu entdecken gibt. Wer also bis zum Release der PS5 von Sony noch eine Überbrückung sucht, kann hier gut und gerne über die 100 Stunden-Marke kommen. Das lohnt sich auch, da – wie schon erwähnt – die Nebenmissionen klar zu glänzen wissen.
Das hat neben der Charakterentwicklung noch einen weiteren Vorteil, denn je mehr Aufgaben man erledigt, umso weiter wächst die eigene Legende – eine Art Level-System, bei dem man mit erfolgreichem Abschließen von Aufgaben Fähigkeitspunkte erlangt und diese für neue Techniken ausgeben kann. Erreicht man eine weitere Legendenstufe, erweitert sich die eigene Lebensleiste ein Stückchen mehr. Ausbilden lassen sich allgemeine Techniken oder bestimmte Fähigkeiten der Zweige Samurai und Geist. Jedoch ist das System am Ende etwas aufgesetzt, da die allgemeinen Schwertkampftechniken den Löwenanteil ausmachen und auch nicht vernachlässigt werden können. Am Ende bleibt man dann doch ein ehrenvoller Schwertkämpfer, der unehrenvolle Techniken nutzen kann, um sich das Leben im Kampf leichter zu machen. Wer also hofft, am Ende ausschließlich als Ninja durch Tsushima schleichen zu können, wird leider enttäuscht werden.
Analog sieht es auch beim Rest der Anpassungsmöglichkeiten aus, denn sicherlich lassen lässt sich der Look von Jin mit neuen Rüstungen, Kleidungen und dazugehörigen Farben anpassen. Das hat auch zur Folge, dass man mal mehr wie ein Geist, mal mehr wie ein Samurai aussieht und netterweise noch Buffs für bestimmte Fähigkeiten bekommt. Jedoch ist man als Spieler immer an das gleiche Set von Waffen gebunden. Hier hätten wir uns mehr Tiefe gewünscht, da im Spiel viele unterschiedliche Waffen vorkommen, die Jin selbst und seine Entwicklung zum Geist von Tsushima nochmals unterstrichen hätten. Ein bisschen Entschädigung gibt es dafür über Talismane, die man ins eigene Katana einsetzen kann, um damit die eigenen Angriffs- oder Verteidigungswerte zu verbessern.
Doch keine Angst: alle Sammelwütigen und Aufleveler bekommen in Ghost of Tsushima genug zu tun. Auf der Insel sind neben den vielen Missionen auch weitere Sammelobjekte wie normale Items, Kleidung, Schreine, heiße Quellen und mehr versteckt. Die einen dienen als reine Kosmetik, die anderen tragen zu euren Fähigkeiten bei, die nächsten braucht man fürs „Crafting“. Das letzte dient primär dazu, Waffen und Rüstungen zu verbessern, weitere kosmetische Anpassungen zu erwerben, oder euer Inventar aufzustocken. Und als wäre das nicht schon genug, gibt es natürlich auch hier Unterschiede, denn sowohl bestimmte Items als auch Rüstungen und Sammelobjekte sind unterschiedlich gewertet und somit unterschiedlich schwer zu finden oder zu bekommen.
Beim eigentlichen Gameplay erwartet euch ein bunter Mix aus altbekannten Dingen im neuen Kleid. Grundlegend sieht man Jin in Third-Person-Manier über die Schulter zu und reist dabei wie bei The Witcher oder Dark Souls per Fuß durch die Welt von Tsushima. Um schneller von A nach B zu kommen, kann man fast immer das eigene Pferd, oder die Schnellreise-Funktion nutzen. Das Herzstück der Spiels sind aber natürlich die Kämpfe, die man in Ghost of Tsushima ausfechten kann.
Diese erinnern in ihren Grundzügen stark an die Souls-Reihe, wurden aber in vielen Elementen Samurai-mäßig angepasst. Somit gilt es die Gegner vorrangig mit eurem Katana auszuschalten. Dafür stehen euch normale und schwere Angriffe zur Verfügung. In Sachen Verteidigung hat man die Wahl zwischen Blocken und Ausweichen. Für jede gelungene Aktion füllt sich im Kampf eine Entschlossenheitsleiste auf, mit der man sich im Anschluss heilen, oder mythische Kampfkünste einsetzen kann. Anders als in Souls-Spielen ist jedoch nicht der eigene Spielstil wirklich wichtig, sondern, welchen Gegner man vor der Nase hat. Denn danach richtet sich die eigene Taktik, Waffe oder Kampfhaltung. Dies wäre alles wunderbar, wenn die Kämpfe nicht, gerade auf höherem Schwierigkeitsgrad, etwas zu hektisch und zu sperrig für dieses komplexe System wären. Dafür gibt es gleich mehrere Gründe. Zum einen lassen sich Gegner nie fest anvisieren, wodurch Aktionen und Reaktionen von Jin öfter mal ins Leere laufen.
Knackpunkt ist vor allem der Wechsel zwischen Blocken und Ausweichen. Hier fehlen dem Spiel nämlich die Momente, in denen Jin in der Animation kurz unverwundbar wird (Invincibility Frames). Es gibt nämlich immer wieder Gegner und davon meist gleich mehrere, die unblockbare Angriffe ausführen. Gerade, wenn dies bei zwei Gegnern gleichzeitig passiert, kann man immer einem Angriff ausweichen und wird unweigerlich vom anderen getroffen. Zudem können Animationen nicht abgebrochen werden. Wenn man eine Aktion wie Blocken zu früh ausgeführt hat, lässt sich dies nicht korrigieren. Auch dies führt in 90 Prozent der Fälle dazu, dass man im Kampf ungewollt Schaden nimmt. Das ist schade, da so der gute Fluss des Katana-Kampfsystems unnötig und unfair aufgebrochen wird.
Auf der anderen Seite funktionieren alle Geistfähigkeiten tadellos, das Einzige, was euch manchmal im Weg steht, ist die KI der Gegner, die sich gelegentlich einen Aussetzer erlaubt. Darüber hinaus hat man noch Wurf und Schusswaffen, in Form von Bögen, Kunais und Bomben, im Repertoire. Allesamt machen Spaß und brechen das recht starre Kampfsystem gut auf. Völlig eigen ist das Herausforderungssystem in Ghost of Tsushima. Wenn man auf Gegner trifft, kann man diese in Samurai-Manier direkt herausfordern und Eins-gegen-Eins-Duelle starten. Lediglich ein Button muss gedrückt gehalten werden, bis der Gegner zu seinem Angriff ansetzt, um ihn mit einem mächtigen Hieb vernichtend zu schlagen. Dies geht mit bis zu drei Gegnern am Stück. Danach muss man üblicherweise mit dem Schwert ran.
Zum Abschluss wären noch die Boss-Kämpfe, welche in Sachen Optik ein echter Leckerbissen sind. Es sind direkte Schwertduelle im Filmlook, in denen alle anderen Waffen strikt tabu sind. Das sieht fetzig aus, kann durch fehlenden Lock-on und die nicht vorhanden Invincibility Frames aber auch schnell frustig sein. Jetzt hat der Entwickler einen neuen Patch veröffentlicht, welcher das Spiel auf Wunsch noch realistischer macht, wie tz.de* berichtete. Zudem fühlt sich Jin in diesen Kämpfen sehr eingeschränkt an, wenn man es gewohnt ist, schnell ein Kunai zu werfen, oder einen Pfeil zu schießen, um brenzligen Situationen zu entkommen.
Über jeden Zweifel erhaben ist der Look von Ghost of Tsushima. Die komplette Insel wirkt eigentlich wie ein gut ausgestattetes Filmset, welches perfekt in Szene gesetzt worden ist. Man geht, reitet und kämpft sich durch bildgewaltige Szenerien, die uns stellenweise eine Gänsehaut über den Rücken laufen lassen. Gepaart ist dies mit einem dynamischen Tag- und Wettersystem, mit dem selbst bekannte Schauorte immer wieder in ein neues stimmungsvolles Licht gerückt werden. Einher gehen diese Systeme außerdem mit dem epischen Soundtrack und der tollen Synchronisation, wobei ihr sogar eine japanische Tonspur wählen könnt.
Leider ist diese nicht ganz auf den Punkt, da die Motion-Capturing-Aufnahmen mit der amerikanischen Tonspur gemacht worden sind. Wer sich den kompletten Samurai-Overkill geben will, der kann das gesamte Spiel auch mit einem schwarz-weiß Fliter durchspielen. Schaut man bei der Optik etwas an der Atmosphäre und den Farben vorbei, fehlt es auch hier ein wenig Feinschliff. So wirken einige Geschichtsanimationen in den Sequenzen etwas hölzern und auch Clippingfehler sind keine Seltenheit. Dies fällt jedoch nur wirklich ins Gewicht, da The Last of Us 2 hier erst vor kurzer Zeit nochmal einen neuen Standard gesetzt hat.
Mit Ghost of Tsushima hat Sucker Punch Productions es wirklich geschafft einen spielbaren Samurai-Film auf die Beine zu stellen. Noch nie wurde das feudale Japan so hübsch und atemberaubend in Szene gesetzt wie in diesem Spiel. Jedoch gibt es auch unschöne Ecken, wie etwa das überladene Kampfsystem, KI Aussetzer und das recht aufgesetzte Wechselspiel zwischen Geist und Samurai. Entschädigt werdet ihr dafür aber mit einem enormen Umfang, der euch weit über 60 Stunden ins feudale Japan abtauchen lässt.
Pros | Cons |
---|---|
- Einzigartiges Setting... | - ...mit eindimensionaler Geschichte |
- Tolle Präsentation mit genialen Lichtstimmungen | - Kampfsystem überladen |
- Feine Ausarbeitung der Nebenmissionen und Charaktere | - Kein Lock-on von Gegnern möglich |
- Enormer Umfang | - Geist-Samurai-System etwas aufgesetzt |
- Klanggewaltiger Soundtrack | - KI-Aussetzer und kleine grafische Bugs |
- Tolle Synchro | |
- Jede Menge Sammelbares |
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